Anforderungen an Langfahrtsegler/innen

Manchmal fragen mich Gäste, was man den alles Wissen und Können muß, um auf den Meeren zu segeln.

Jetzt würde man meinen, dass die Antwort auf der Hand liegt: Ein/e Skipper/in sollte segeln können. Das stimmt jetzt zum großen Teil auch. Seemännische Kenntnisse, die entsprechenden Funkkurse usw. sind mindestens die Grundvoraussetzung. Als Fahrtensegler relativiert sich diese Aussage aber ziemlich bald, wenn man etwas genauer nachdenkt. Nehmen wir z.B. die Zeiten her, die man auf dem Schiff verbringt: geht man von einem Jahrespensum von 3000 nm aus, dann sind das in Stunden umgerechnet etwa 600 h oder etwas zwischen 25 und 30 Tagen. Wenn man keine Langstrecken bewältigt, segelt man vielleicht nur tagsüber und kommt dann auf 40 Tage. Da fragt man sich dann, was den eine Seglerin / ein Segler den Rest des Jahres macht!
Die folgende Auflistung ist natürlich nur unsere Sicht der Dinge. Wir denken aber, dass auf vielen anderen Booten ähnliche Erfahrungen gemacht wurden.

1. Wir verbringen viel Zeit damit Land und Leute der besuchten Orte kennenzulernen, die Spezialitäten der regionalen Küche auszukundschaften und uns über die Geschichte und das laufende Geschehen der Gastgeberländer zu informieren.

English ist Mindestanforderung, um die anfallenden Behördenwege beim Ein- und Ausklarieren zu meistern.
Für uns gehört auch dazu, dass man sich wenigstens einen kleinen Grundwortschatz der lokalen Sprache aneignet. Ein „Kalimera“ in Griechenland oder ein „Pawi Problem“ in der Karibik erleichtert die Kommunikation auf jeden Fall.

2. Die Pflege sozialer Kontakte zur Familie, Freunden und Segelbekanntschaften.

3. Ein anderer, nicht zu unterschätzender Teil unserer Zeit geht mit Projekten drauf, die dazu dienen unser Heim – also unser Boot – zu optimieren und gut im Schuss zu halten. Wenn wir wieder auf die anfangs gestellte Frage zurückkommen, gibt es eine ganze Menge die man dazu können sollte. Hier mal eine Auflistung der Tätigkeiten, die bis jetzt auf unserem Schiff angefallen sind:

  • Elektroinstallationen für Schwach (12V)- und Starkstrom (240V)
  • Energiesystem optimieren (Lithium Batterien, BMS usw.)
  • Erweiterungen und Service der Navigationselektronik, Netzwerke auf dem Schiff, Funk und Radar
  • Heizung- und Wasserinstallationen, Wassermacher und Regensammelsystem
  • Umbauten, Ausbesserungen und Herstellung von Kunststoffteilen (GFK)
  • Malerarbeiten mit entsprechenden Vorbereitungsarbeiten
  • Metall- und Schweißarbeiten
  • Propeller-, Motoren- und Getriebeservice
  • Photovoltaik planen und installieren oder optimieren
  • Polsterungen, Vorhänge, Schutzabdeckungen und Segel nähen
  • Rigg und Segelbeschläge erneuern oder installieren
  • Schreiner Arbeiten für den Innenausbau
  • Wartung der hydraulischen Lenkanlage

Vermutlich fehlen noch Dinge, die mir grade nicht einfallen. Erschwerend kommt hinzu, dass es auf einem Boot kaum gerade Kanten und ebene Flächen gibt, an denen man sich orientieren kann. Alles muss angepasst und maßgefertigt werden, damit es zum Bootsdesign passt.


Die Verwendung von unterschiedlichen Materialien wie Stahlschrauben in Aluminiumteilen führt zusammen mit dem Salzwasser zu Elektrolyse und erheblicher Korrosion, die bei älteren Booten die Wartung immer schwieriger macht. Schrauben können oft nur aufgebohrt und weggeflext werden, wenn es darum geht eine Verbindung zu lösen. Improvisationstalent ist mindestens ebenso gefragt, wie handwerkliches Geschick. Weder sollte man sich vor schwerer Arbeit, noch vor Schmutz scheuen.

4. Auf unserem Boot hat die Kulinarik einen besonderen Stellenwert. Gerne erkunden wir die regionalen Restaurants auf der Suche nach neuen Rezepten, trotzdem kochen wir zu mindestens 90% selbst – vor allem mit lokalen Produkten. Dabei haben wir auf den Märkten der Gastländer schon einige interessante neue Lebensmittel kennengelernt. Auch wenn man auf Wanderungen unterwegs ist findet man oft Früchte und essbare Pflanzen. Hier empfiehlt es sich, sich mit der Flora und Fauna der besuchten Länder auseinanderzusetzen. Neben genießbaren Dingen gibt es nämlich auch ungenießbare und manchmal sogar giftige Pflanzen und Tiere!


Vor langen Etappen kommt der Proviantierung ein besonderer Stellenwert zu. Für eine Atlantiküberquerung muss man schon mal für 20 und mehr Tage vorausplanen und Proviant bunkern. Noch schnell eine Milch im Supermarkt holen ist da nicht ;-). Bei unserer Fahrt von den den Bermudas zu den Azoren hatten wir Dank Evelyns ausgezeichneter Planung am letzten Tag noch frischen Salat zum Mittagessen. Wenn Gäste an Board sind, wird es nochmals komplizierter, besonders wenn man auch Befindlichkeiten wie Nahrungsintoleranzen oder medizinische Indikationen Rücksicht nehmen muss.
Evelyn macht sich die Mühe, viele der eingelagerten Lebensmittel selbst zu konservieren. Damit ist gewährleistet, auch unterwegs auf gesunde Kost ohne künstlichen Konservierungsstoffe zurückgreifen zu können. Dabei versuchen wir vor allem regionale Produkte zu verwenden. Selbstgemachte Brote, Marmeladen, Kompotte, Säfte, Liköre, Gewürzmischungen, Pestos, Pasta, Marinaden und Suppenbasis, Sauerkraut, Oliven und anderes eingelegtes Gemüse, Yoghurt und Frischkäse finden sich auf unserer Proviantliste.

Wenn es um tierische Lebensmittel geht, bieten die Meere (Gott sein dank immer noch) ein reichhaltiges Angebot an gesunder, eiweißreicher Nahrung. Dazu gehört allerdings auch, dass man die teils selbst gefangenen, aber auch die am Markt gekauften Fische, Muscheln, Krabben usw. auch richtig vor- und zubereiten kann.

5. Unsere Berichte editieren sich natürlich auch nicht aus dem Nichts. Dokumentieren, Fotografieren und Filmen gehört ebenfalls zu unseren Tätigkeiten, und erfordert manchmal nicht nur Arbeit sondern auch Disziplin und Überwindung.

6. Wer Gäste auf seinem Boot mitnimmt, hat was zu erzählen. Stimmen überzogene Erwartungen einer idealisierten Seereise nicht mit der Wirklichkeit überein, kann das die Stimmung an Board ziemlich drücken. Leider sind Wind und Wetter nicht auf Monate voraus planbar. Bläst dann die ganze Urlaubswoche kaum segelbarer Starkwind, ist das ebenso unangenehm wie eine Hitzewelle mit Flaute. Ebenso undenkbar ein tagelanger Törn mit Jugendlichen ohne Internetempfang! Hier sind die sozialen Fähigkeiten der Crew gefragt: Animateur, Mediator und Entertainer haben hier ihren Einsatz. Selbstverständlich erwartet man auch Infos zum besuchten Land und nicht selten muss nicht nur die Navigation auf See, sondern auch die Reiseführung bei Landausflügen geplant und organisiert werden.
Natürlich zählt eine medizinische Grundausbildung (Erste Hilfe) zu den Voraussetzungen zur Erlangung eines Hochseepatents. Es empfiehlt sich allerdings sich hier noch weiterzubilden – nicht nur im eigenen Interesse, sondern auch falls mal einem Gast an Board etwas passieren sollte, oder um anderen Hilfe leisten zu können. Evelyn hat beispielsweise in der Karibik nicht nur die Erstversorgung eines Mädchens gemacht, die sich beim Kiten schwer verletzt hatte, sondern auch gleich noch eine Schockbehandlung der Mutter durchgeführt.

Die zusammengefassten Anforderungen legen den Einsatz der „eierlegenden Wollmilchsau“ in der reitbaren Version nahe.


Wenn man die obigen Anforderungen in einer Stellenbeschreibung zusammenfasst, bekommt man ein Profil, das wohl Manche / Manchen überfordert oder abschreckt. Von der sprichwörtlichen „eierlegenden Wollmilchsau“, in der reitbaren Version wohlgemerkt, ist man da nicht mehr weit entfernt ;-).
Natürlich kann man – die entsprechenden finanziellen Ressourcen vorausgesetzt – vieles von Fachleuten machen lassen. Man sollte aber daran denken, dass – vor allem auf Langfahrten oder in abgelegenen Regionen – nicht immer eine Marina, Werkstatt oder ein Supermarkt zur Verfügung stehen wird. Dann sollte man zumindest in der Lage sein, anfallende Reparaturen behelfsmäßig auszuführen und sich mit regionalen Produkten versorgen zu können. Wir versuchen deshalb, soviel wie möglich an unserem Boot selbst zu machen, auch um die Systeme besser kennen und verstehen zu lernen.

Ein geglücktes Projekt, ein tolles neues Rezept, ein reparierter Fehler, oder eine Optimierung, die das Leben an Board erleichtert bescheren aber vielleicht auch ebenso viele Glückshormone, wie ein toller Segel Tag oder der Besuch einer reizvollen Location. So gesehen, kann auch dieser Teil des Seglerlebens erfüllend und angenehm sein, und natürlich entschädigen die tollen Erlebnisse immer wieder die mühsameren Tage, die man bei der Wartung des Bootes investieren muss. So hoffen wir, dass wir unsere Projekte bald zu einem positiven Abschluss bringen, und dann wieder die Segel setzen können!







2 Comments

2 Comments

  1. Tomaselli says:

    Liebe Evelyn, lieber Roland,

    ein ganz toller Bericht, den wir hier lesen durften.
    Vor allem sehr anschaulich dargestellt, welcher Aufwand und welche Anforderungen auf einen zukommen, wenn man sich in ein derartiges Abenteuer begibt.
    Wobei es sehr wohl auf die Menschen ankommt, die sich einer solchen Herausforderung stellen und da meinen wir, dass Ihr vielleicht aber auch in gewissem Sinne eine Ausnahme darstellt.
    So auf Anhieb fällt uns nämlich niemand ein, dem wir Ähnliches zutrauen würden. Aber Ihr seid hierfür tatsächlich die Richtigen und uns freut es sehr für Euch, dass Ihr, so hoffen wir zumindest, mit möglichst geringem Reibungsverlust Eure Tage, Wochen und Monate meistert.

    Wir wünschen Euch alles Liebe und Gute, vor allem viel Gesundheit und stets eine Handbreit Wasser unter dem Kiel ( oder heißt es, „eine Handvoll Wasser …. ? )
    Angelina und Frank

    1. Hallo Angelina, hallo Frank. Dank für euren ausführlichen Kommentar und die guten Wünsche. Eine Handbreit stimmt übrigens eine Handvoll wäre ein bisschen wenig.
      Ich hab gesehen, dass du auf dem Meer der Bregenzer und Harder ja auch als Gondoliere unterwegs bist. Hoffentlich ist es bald wieder warm genug für solche Aktivitäten. Lasst es euch gut gehen und meldet euch, falls ihr mal ein paar Tage im Süden verbringen wollt …

      GLG von Evelyn und Roland, die Crew der ARIES.

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