Auf der Flucht vor dem Tropensturm

Sturm in der Karibik

Wochenlang hat es gedauert, um von Kuba die mehr als 1700 nautischen Meilen zurück in die Antillen zu segeln. Von Kuba nach Jamaika hatten wir guten Wind. Von Jamaika aus haben wir mehrere Anläufe gebraucht, bis wir es gegen die vorherrschende Windrichtung nach Osten zur Insel Hispaniola geschafft haben. Hier ging es in Etappen der Küste von Haiti und der Dominikanischen Republik entlang weiter nach Osten und von der Insel Saona im Südosten der Dominikanischen Republik zurück nach Puerto Rico. Von dort durch die Virgin Islands nach Anguilla und weiter nach Saint Martin. Nach einem Stopp auf Saint-Barthélemey gibt es nochmals einen Nachttörn bis wir am 17.6.2023 endlich in Guadeloupe ankommen. Gestartet sind wir in Kuba am 2.4.2023, immer wieder hieß es abwarten, bis der Wind zum Weitersegeln passt – dafür gab es Zeit, die Länder zu besuchen und tolle Dinge zu erleben. Jetzt hofften wir darauf, die Sache – in dem uns gut bekannten Revier – wieder etwas ruhiger angehen zu können, aber daraus ist nichts geworden…

Der Atlantik hat sich bereits im Juni so stark aufgeheizt, dass die Wassertemperatur der entspricht, die normalerweise im August gemessen wird. Pünktlich mit der Hurrican Saison, die ab Juni startet, gibt es dann auch schon die ersten Stürme. Kaum sind wir in Guadeloupe angekommen, erhalten wir eine Warnung vor „Bret“, einem Tropensturm, der vor der Küste Afrikas entstanden ist, sich langsam zum Hurrican entwickelt und Richtung Karibik bewegt. Während am 16. 6. die Vorhersage noch davon ausgeht, dass der Sturm nördlich der Karibik vorbeizieht, zeigt die Prognose am 19. 6. dass er am 22.6.2023 im Bereich von Guadeloupe hinwegziehen soll. Also kein guter Ort, um hier zu verweilen.

Abb.: So entwickelte sich die Vorhersage des Sturms. Die Zugbahn verlagert sich im Laufe der Tage immer weiter nach Süden.

19. 6. 2023, 9:30, Ablegen von der Mooring vor der Marina Bas-du-Fort.

Evelyn hat zum Abendessen eine leckere Quiche gebacken. Bei einer Flasche Wein haben wir beschlossen mindestens bis nach Martinique zu segeln. Von dort können wir – falls es die Lage erfordern sollte – noch weiter nach Süden.

Wir starten mit angenehmem Wind von 12 bis 15 kn aus OSO und kommen mit 6 kn gut nach Süden voran. Der Wind frischt gegen Mittag auf, und wir erreichen bei 20 kn eine Geschwindigkeit von fast 9 kn. Im Windschatten der Inseln, die wir passieren, wird es ruhiger und wir dementsprechend langsamer. Wir bleiben relativ weit von den Inseln weg und kommen so fast immer mit mindestens 4 bis 5 kn vorwärts, ohne eine Maschine zu starten.

Wieder einmal segeln wir an Dominica vorbei, ohne die Insel besuchen zu können. Beim Dunkelwerden entdecken wir über Roseau einen entstehenden Waldbrand und versuchen die Coastguard von Dominica per Funk zu erreichen, um eine Alarmmeldung abzugeben. Die CROSS AG – der französische Seenot- und Rettungsdienst von Martinique – empfängt unseren Funkspruch und bestätigt, dass sie die Meldung an Behörden in Dominica weiterleiten wird.

Gegen 20:00 Uhr haben wir das Südende von Dominica erreicht und segeln durch den Channel Richtung Martinique. Ein paar Sternschnuppen erhellen den sternenklaren Himmel. In der Ferne sieht man bereits die roten Lichter, die die Windgeneratoren von Martinique markieren.

Im Channel bläst der Wind mit 20 – 25 kn. Über Nacht haben wir das 2. Reff eingelegt, so sind wir sicher und immer noch schnell unterwegs. Auf Südkurs geht es bis zur Spitze von Martinique. Auf dem AIS sehen wir vor Saint Pierre das Signal eines französischen Kriegsschiffs. In der Nähe der Insel funktioniert das Internet und wir können ein Update der Vorhersage herunterladen. Martinique fällt als sicherer Hafen aus. Bequia – eine der Grenadineninseln mit einer sicheren Bucht – ist unsere nächste Wahl.

Entlang der Westküste segeln die ARIES der Insel Martinique entlang. Wir wundern uns, was wohl die vielen Segler machen werden, die normalerweise vor Saint Anne und Le Marin vor Anker liegen. Mittlerweile scheint sich die Zugbahn des Sturms immer mehr nach Süden zu verlegen. Er wird wohl voll auf Martinique treffen. Je weiter wir nach Süden kommen, um so mehr Schiffe sind rund um zu sehen, die ebenfalls nach Süden unterwegs sind.

Früh morgens geht es durch den Channel zwischen Martinique und St. Lucia und weiter der Küste von St. Lucia entlang. Am Nachmittag des 20. 6. 2023 erreichen wir St. Vincent und passieren die Insel im Lee. Bevor wir abends Bequia erreichen, treffen wir auf einige Squalls, die Regen und Windböen bis 30 kn Wind bringen. Wohl die ersten Vorboten des kommenden Sturms!

Zum Glück kennen wir die Ankergründe in Bequia gut, so macht es uns nichts aus, dass wir erst um 20:00 Uhr – nachdem es schon dunkel ist – den Anker in der Lower Bay werfen können. Der Blick auf die Wettervorhersage ist unerfreulich: Zwar wird der Sturm vermutlich nicht Hurrican – Stärke erreichen, aber dafür hat sich seine Bahn noch weiter nach Süden verlagert. Wir werden nicht in Bequia bleiben können. 🙁
Müde von den durchsegelten Nächten gehen wir früh zu Bett. Der Sturm soll noch weiter im Süden durchziehen. Wir können nicht in Bequia bleiben, morgen soll es früh weitergehen.

21. 6. 2023. Um 7:00 Uhr geht der Anker hoch. Neben uns ankern unsere Freunde von der TreLax. Sie sind spät nachts von Saint Kitts hier angekommen. Wir würden Sie gerne treffen, lassen sie dann aber doch lieber schlafen. Es geht raus aus der Bucht am Moonhole vorbei und dann wieder weiter nach Süden.

Wir laufen – die Wettervorhersage prognostiziert moderate 10 – 15 kn Wind – mit voller Besegelung aus. Wie immer, wenn man es gar nicht brauchen kann, passiert Unvorhergesehenes: Der Schäckel, der das Großsegel am Baum festhält, hat sich gelöst – plötzlich flattert die Ecke des Segels wie wild im Wind. Zum Glück kein großes Problem, dass sich schnell beheben lässt, sofern man Ersatz an Bord hat.

Nach kaum 2 Stunden kommen schon wieder die ersten Squalls auf uns zu. Wir legen das erste Reff ein, kurze Zeit später das Zweite. Böen mit mehr als 25 kn und mehr zeigen uns wieder einmal, wie zuverlässig die Windvorhersagen sind – kein gutes Gefühl, wenn ein Sturm auf einen zukommt. Bei all den Widrigkeiten gibt es auch einen Lichtblick: Evelyn sichtet Delphine, später sogar einen Wal. Ereignisse wie diese sind es, die einen über die Unannehmlichkeiten, die man beim Segeln in Kauf nehmen muss, hinwegsehen lassen.

Die ARIES pflügt mit 7 bis 8 kn durch die Karibik und an den kleinen Grenadinen – Inseln vorbei. Bald liegen Mystique, Canuan, Mayreau und Union Island hinter uns. Die nächste Insel – Carriacou – gehört bereits zum Staatsgebiet von Grenada, unserem neuen Ziel. Kurz vor Grenada treffen wir wieder auf Squalls. Da es bereits dunkel wird, drehen wir nach Südosten und laufen die Corn Store Bay auf der kleinen unbewohnten Insel Ronde Island an. So können wir noch vor Sonnenuntergang ankern und den Halt des Ankers mit der Tauchermaske kontrollieren. Wir haben perfekten, sandigen Ankergrund erwischt. Der Anker hält bombenfest, die Bucht bieten guten Schutz gegen Wind und Welle und das Wasser ist kristallklar und warm wie in der Badewanne. Die selten besuchte Bucht bietet zum Ufer hin einige Felsplatten mit intakten Korallen und tollen Fischen.

Die Landschaft der kleinen Insel ist spektakulär. Wir werden sicher nochmals hierherkommen und dieses schöne Fleckchen Erde in Ruhe genießen. Richtung Grenada sieht man die „Sisters“ und andere Felsformationen, die dort aus dem Meer ragen.

Evelyn ist anfangs etwas nervös. Vielleicht hätte ich ihr nicht zeigen sollen, dass nur 2 Seemeilen entfernt ein Sperrgebiet liegt, das einen aktiven Unterwasservulkan abgrenzt. 2017 wurde der letzte Ausbruch von Kick-‚em Jenny, wie der Vulkan heißt, registriert. Ich mache mir also keine Sorgen. 😉

22. 6. 2023, 6:15. Wir verlassen dieses schöne Plätzchen und segeln an der London Bridge vorbei und der Küste Grenadas entlang die restlichen 20 nautischen Meilen (ca. 37 km) nach St. George, um die Formalitäten für Grenada zu erledigen.

St. George bietet eine sichere Marina und eine gut geschützte Bucht. So weit ab vom Zentrum des Sturms und fast 300 nautische Meilen südlich unseres Ausgangspunkts sollten wir den Sturm gut überstehen können.

Per Dokwa – App haben wir einen Mooring Ball reserviert und vorab bezahlt. Trotzdem sind, als wir ankommen, alle Moorings belegt! Es bleibt uns nichts übrig, als in der Bucht etwas weiter draußen zu ankern. Wieder passiert uns ein Malheur: Beim Einfahren des Ankers verbiegt sich der Haken des Hahnepots.

Zum Glück haben wir auch dafür Ersatz am Boot – der Haken ist schnell gewechselt. Beim zweiten Versuch klappt das Ankermanöver. Der Korallengrund ist nicht ideal zum Ankern. Unser Anker scheint sich aber gut in einem Klotz eingehängt zu haben und hält auch bei Vollgas im Rückwärtsgang. Es tut uns leid, auf diesem sensiblen Untergrund, der Lebensraum für viele Meeresbewohner bietet, ankern zu müssen – deshalb hatten wir ja auch die Mooring reserviert.

Mit dem Dinghy fahre ich in die Marina zum Einklarieren, und sehe mit Schrecken eine Schlange mit mindestens 20 Personen vor dem Büro der Customs und Immigration anstehen. Fast 4 Stunden muss ich warten, bis ich endlich an die Reihe komme. Ich habe mich bereits per Sailclear angemeldet, das beschleunigt die Sache. Die Beamten produzieren einen Haufen Papier (alles in 4-facher Ausfertigung), die wahrscheinlich die nächsten Jahre in der angrenzenden Abstellkammer verstauben werden, bevor sie irgendwann entsorgt werden …

Kreditkartenzahlungen sind nur bis zu einer Höhe von EC$ 75 möglich, sodass ich die anfallenden Kosten für die Einreise von 2 Personen und das 1 Monat gültige Cruising Permit für unseren Catamaran von EC$ 144 (umgerechnet ca. US$ 55) lieber gleich bezahle. Ich habe noch US$, die zu einem „bescheidenen“ Wechselkurs gerne genommen werden, Euros werden nicht akzeptiert.

Ein Besuch in der Capitanerie der Marina soll klären, wieso wir trotz Reservierung und Bezahlung von US$ 30 für 2 Tage keinen freien Mooring Ball bekommen haben. Die Mitarbeiter der Marina sind nicht wirklich interessiert. Ich höre außerdem von mehreren anderen Skippern, dass sie dieselbe Erfahrung gemacht haben. „Ich solle halt warten, bis ein anderes Schiff wegfährt“, erklärt mir völlig unbeeindruckt einer der Angestellten im Büro.

Endlich zurück auf der ARIES brauche ich erst etwas zu trinken. Ich hatte kein Wasser dabei. Nach einer kurzen Pause fahre ich dann mit Evelyn an Land zum Einkaufen. Zuerst ab zur „Island Water World„, um eine Gastlandflagge von Grenada zu kaufen. Eine der wenigen Karibikstaaten, die wir bis jetzt noch nicht besucht, und deshalb auch keine Flagge hatten. Der kleine Stofffetzen schlägt mit US$ 25 zu Buche! Evelyn hat mittlerweile das „Foodland“ durchstöbert. Das Angebot ist für karibische Verhältnisse ok, die Preise akzeptabel. Wir wollten uns eigentlich noch in Martinique mit Proviant eindecken, daraus ist leider nichts geworden. Es gibt einen eigenen Dinghysteg, das Einkaufszentrum liegt direkt am Ufer hinter der Hauptstraße.

Soweit wir das bis jetzt gesehen haben, scheint es auf Grenada ganz nett zu sein. Wir werden uns Zeit nehmen, die Hauptinsel Grenada, Carriacou und die kleineren Nebeninseln in den nächsten Wochen genauer zu untersuchen. Vorerst müssen wir sowieso hier bleiben. Die nächsten Sturmzellen entstehen bereits über dem aufgeheizten Wasser des Atlantiks, nur hier im Süden sollten wir davor sicher sein.

Wir verbringen eine ruhige Nacht mit kaum Wind in der Bucht. Nur starker Regen und ein 1 m hoher Schwell weisen darauf hin, was weiter im Norden abgeht. Erst am nächsten Vormittag bekommen wir die „Schleppe“ des Wirbelsturms zu spüren. Starke tropische Regenfälle und Windböen bis 40 kn lassen uns hoffen, dass der Anker hält.

Schließlich sind die schlimmsten Fronten durchgezogen und nachmittags hellt es bereits etwas auf. Die französische Küstenwache rettet 4 Segler in der Nähe von Martinique, die im Sturm ihren Katamaran aufgegeben und in die Rettungsinsel evakuiert sind. Der Sturm hat – unseres Wissens nach – zum Glück keine Todesopfer oder Verletzte gefordert. Wir haben unseren ersten Sturm der Saison, mit ein paar Falten und grauen Haaren mehr, aber sonst ebenso unbeschadet überstanden! Das wird mit einem guten Essen gefeiert.

Später finden wir die Spuren eines Tintenfisches, dem wir bei unserer Fahrt wohl in die Quere gekommen sind. Von diesen Spuren abgesehen, hat auch unsere ARIES diese Fahrt wieder problemlos gemeistert. Wir sind bereit, Grenada zu erkunden.

4 Comments

4 Comments

  1. Hallo Roland und Evelyn, wieder ein sehr interessanter und spannender Bericht! Wir verfolgen & lesen immer sehr gerne die spannenden Schilderungen / einzigartigen Erlebnisse von euren sehr gut und vorausschauend geplanten Routen. Wir wünschen euch beiden eine schöne und erholsame Zeit in Grenada. Lass uns eure weiteren Pläne / Routen wissen, die auch für uns in Frage kommen / wir wieder mit euch mitsegel können. Liebe Grüsse von Johannes und Sissi

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